Beim Stichwort Re-Use denkt man zuerst einmal an Fassadenplättli, Wasch- und Spülbecken oder Keramikfliesen mit etwas Patina. Oder an bunte Bricolagen mit Fenstern und Türen, die aus einem Abbruchobjekt gerettet wurden. Doch die Wiederverwendung von Bauteilen beschränkt sich heute nicht mehr auf die Hülle oder die Innenausstattung eines Gebäudes. Der viel beachtete Kopfbau K118 auf dem Sulzer-Areal in Winterthur – der bislang größte Bau in der Schweiz, der mehrheitlich aus wiederverwendeten Bauteilen besteht – demonstriert, dass ein konsequenter Re-Use-Ansatz bis in den Kern eines Gebäudes vordringt und auch die Tragstruktur umfasst. Man denkt beim Stichwort Re-Use auch häufig an das einfache Bauen, an das handwerkliche Zusammenfügen von einzelnen Bauteilen und Materialien. An ein Bauen, das wenig mit den verleimten und vergossenen Fertigprodukten zu tun hat, deren Innenleben der Laie weder kennt noch versteht.
Nur selten jedoch denkt man beim Stichwort Re-Use an die komplexen technischen Anlagen, die mit der Elektrifizierung Anfang des 20. Jahrhunderts zum integralen Bestandteil der Architektur geworden sind. Wenn Wiederverwendung und Kreislaufdenken aber zum neuen Standard im Bauwesen werden sollen, dann müssen neben Verkleidung, Ausstattung und Tragstruktur auch komplexe, nur dem Spezialisten verständliche Hightechbauteile in die Überlegungen miteinbezogen werden.
Die größte und wichtigste dieser technischen Anlagen ist zweifellos der Lift. Seine herausragende Bedeutung in der Architekturgeschichte – keine Hochhäuser ohne Aufzüge! – macht klar: Sobald wir Re-Use im größeren Maßstab denken, sobald die Architektur mehrgeschossig ist, kann der Lift nicht außer Betracht gelassen werden. Das ist nicht bloß eine Frage des Komforts, sondern auch der Barrierefreiheit und der Inklusion.
Die Notwendigkeit von Fachwissen
Was bedeutet nun Re-Use, was bedeutet Zirkularität im Liftbau? Darauf gibt es so viele Antworten, wie es Ansätze zur zirkulären Wende in der Bauwirtschaft gibt. Vielleicht ist es sinnvoll, erst einmal zu rekapitulieren, welche Ziele die Kreislaufwirtschaft verfolgt und woher ihre Dringlichkeit rührt. Der Grundsatz ist einfach, aber radikal: An die Stelle eines linearen Bauprozesses, bei dem alles, was gebaut wird, über kurz oder lang wieder abgerissen und weggeworfen wird, soll eine zirkuläre Baukultur treten, die im Idealfall gar keinen Abfall mehr produziert, sondern stetig wieder- und weiterverwendet, was bereits verbaut ist. Damit würde die graue Energie, die bei der Produktion von neuen Bauteilen anfällt, auf null sinken. In Kombination mit einem energetisch optimierten Gebäudebetrieb gelänge es so, die CO2-Emissionen des Bausektors weitgehend zu eliminieren. Heute verursacht dieser 25 Prozent des schweizweiten CO2-Ausstoßes, zudem generiert er jährlich rund 17 Millionen Tonnen Abfall – eine Wegwerfkultur beängstigenden Ausmaßes. Was für Küchen, Kloschüsseln, Fassadenverkleidungen oder Treppengeländer sinnvoll ist, gilt – aufgrund des hohen Grauenergiewerts umso mehr – auch für Liftanlagen: Warum auf die Mülldeponie werfen, was noch brauchbar ist?
Zirkuläres Denken im Liftbau kann auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Maßstäben ansetzen. Es umfasst dieselben Kategorien, die für die Bausubstanz im Allgemeinen gelten: vom Erhalt und der Weiterverwendung an Ort (Repair) über die Wiederverwendung an einem anderen Ort (Re-Use) bis zur Wiederverwertung der Ausgangsmaterialien (Recycle). Beim Lift verschärfen sich allerdings die Probleme, die auch bei der Wiederverwendung von einfachen Bauteilen auftreten: Wer baut eine Liftanlage fachgerecht aus und wieder ein? Wer weiß, welche Teile zu ersetzen und welche noch tauglich sind? Wer kennt die Funktionsweise der einzelnen Elemente und ihre gegenseitigen Abhängigkeiten? Und wer garantiert für die Sicherheit? Anders ausgedrückt: Die zirkuläre Wende im Liftbau braucht den Willen und das Engagement von Spezialisten, die den Lift nicht als Fertigprodukt verstehen, sondern als technisch und gestalterisch hochwertiges Objekt, das mit entsprechender Sorgfalt gefertigt und gepflegt wird. Wenig verwunderlich also, dass der Impetus zu mehr Re-Use und Repair im Liftbau von der Schweizer Firma Emch kommt, die sich als Lift-Manufaktur versteht, auf Ideenreichtum und Erfindergeist setzt und sich nicht erst seit gestern für Nachhaltigkeit im Bausektor engagiert.
Oldtimer und Exoten
Zwei Beiträge, die die Aufzugsbranche zum zirkulären Bauen leisten kann, sind fest in der DNA des Familienunternehmens Emch verankert: die Priorisierung von Modernisierungen gegenüber dem Einbau von Ersatzanlagen und die Expertise bei der Planung von maßgeschneiderten Neuanlagen – individuell geplante Lifte, die die Erschließung mit wenigen Eingriffen in den Bestand und damit den Erhalt von alter und sensibler Bausubstanz ermöglichen. Daniel Steiger, Architekt und Bereichsleiter Verkauf bei Emch, spricht von „zweierlei Oldtimern“. Im ersten Fall ist der Oldtimer ein nicht mehr vollumfänglich tauglicher Lift, der durch Reparatur oder den Ersatz einzelner Teile einem weiteren Nutzungszyklus zugeführt wird siehe ‚Lift retten heißt Architektur retten‘, Seite 8. Im zweiten Fall ist der Oldtimer das Gebäude selbst, das durch das behutsame Einfügen eines Lifts den heutigen Anforderungen angepasst und so für einen weiteren Lebensabschnitt fit gemacht wird siehe ‚Maßgeschneiderte Aufrüstung‘, Seite 12. Beides sind Repair-Arbeiten, die auf Erhalt zielen – nach wie vor die einfachste und effektivste Methode, um Abfall und CO2-Emissionen zu vermeiden.
Re-Use-Strategien, die auf Wiederverwendung an einem anderen Ort abzielen, verfolgt Emch im großen wie im kleinen Maßstab. Der kleine Maßstab umfasst die zahlreichen Bestandteile eines Lifts, die – analog zu anderen Bauteilen eines Hauses – nach einem Gebäudeabriss aufbewahrt und wiederverwendet werden. Im großen Lager mit gebrauchten Liftkomponenten – von den Emch-Mitarbeitenden ‚Exotenlager‘ genannt – findet man von Motoren über Seilrollen und Treibscheiben bis hin zu Muttern, Schaltern, Relais und Druckknöpfen allen Alters und jeder Größe zu jeder Aufzugsanlage das passende Teil siehe Fotostrecke in diesem Heft. Die ‚Exoten‘ in Emchs Materiallager stammen aus demontierten Liftanlagen, gerettet aus zurückgebauten Gebäuden. Weil die weiterhin vorherrschende Abrissideologie auch vor Bauten nicht Halt macht, die kaum 20 Jahre alt sind, sammeln die Mitarbeitenden von Emch immer mal wieder neuwertige Komponenten ein, bevor sie auf der Mülldeponie landen – mitunter ganze Liftanlagen. In diesem größten denkbaren Maßstab ist Re-Use heute noch die Ausnahme. Das liegt auch an den Platzverhältnissen am Firmensitz, die der Aufbewahrung kompletter Liftanlagen enge Grenzen setzen. Dennoch wälzt man bei Emch bereits Ideen, wie Aufzüge integral ausgebaut, eingelagert und schließlich wiederverwendet werden können. Eine logistische und räumliche Herausforderung, die Emch gemeinsam mit spezialisierten Partnern angehen will.
Der zirkulären Zukunft entgegen
Ein Depot mit ausrangierten Liften ist wünschenswert, aber letztlich nur eine Zwischenetappe. In Zukunft wird es nicht mehr darum gehen, hochwertige Liftanlagen und -komponenten vor der Mülldeponie zu retten, sondern Bauwerke samt Liften so zu planen, dass sie im Fall von Nutzungsänderungen einfach demontiert, aufbewahrt und wiederverwendet werden können. Die Hersteller sollen den ganzen Kreislauf von der Produktion über die Erstverwendung, die Demontage und die Aufbereitung bis hin zur Wiederverwendung in einem anderen Kontext mitdenken siehe ‚Was macht einen Aufzug nachhaltig?‘, Seite 16. Wie das funktionieren könnte, demonstriert der provisorische Lift, den Emch aktuell für eine Haltestelle des Bahnunternehmens BLS baut: Alles ist so konstruiert, dass es ohne viel Aufwand und ohne Materialverlust wieder dekonstruiert werden kann. In Einzelteile zerlegt und eingelagert, kann der Lift bei nächster Gelegenheit wieder zusammengebaut werden. Im Kleinen und Spezifischen hat hier begonnen, was hoffentlich bald den gesamten Bausektor bestimmen wird: das konsequente Denken in Kreisläufen. Die ökologische Dringlichkeit ist längst gegeben. Für die erfolgreiche Wende vom linearen zum zirkulären Bauen braucht es aber das Engagement und die Expertise jeder einzelnen Branche. Die verschiedenen Initiativen von Emch zeigen beispielhaft, was ein einzelnes Unternehmen dazu beitragen kann, dass zirkuläre Prozesse auch bei komplexen technischen Bauteilen funktionieren können, und dass das ökologische Umdenken nicht nur gesellschaftliche Pflicht ist, sondern mit Pioniergeist und Erfinderlust einhergehen kann.
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