Quelle: Werner Huber (2025, 10. Juli). Zweimal das Gleiche ganz anders [Publireportage]. Berner Kulturagenda – BKA Magazin.
Ein Gebäude ist wie ein Organismus, der sich verändert und den wechselnden Bedürfnissen anpasst. Anders als beim Menschen, dessen Lebensbogen in der Natur begründet ist, lässt sich bei einem Bauwerk dieser Prozess steuern und ihm immer wieder neues Leben einhauchen. Auch denkmalgeschützte Gebäude liegen nicht unter der sprichwörtlichen Käseglocke, sondern sie müssen immer wieder verändert werden können. Es ist die baukulturelle Verantwortung von Bauherrschaften, Architektinnen und Architekten, der Denkmalpflege, der Behörden und der beteiligten Unternehmen, diesen Wandel behutsam zu ermöglichen.
Insbesondere beim nachträglichen Einbau eines Liftes in einem Altbau besteht die Gefahr, viel historische Bausubstanz unwiederbringlich zu zerstören. Umso wichtiger sind die sorgfältige Planung und die Zusammenarbeit mit lokal verankerten Unternehmen, die mehr können und mehr wollen als globale Standardlösungen einzubauen. Zwei Beispiele zeigen das anhand von Aufzugsanlagen des Berner Familienunternehmens Emch exemplarisch.
Die Abbatiale du Domaine de Bellelay im Berner Jura, erwähnt erstmals 1141, geht zurück auf Siginand, den Probst von Moutier-Grandval. 1714 entstand die Abteikirche nach Plänen des Vorarlberger Architekten Franz Beer, zwanzig Jahre später folgten die Klostergebäude. Als 1797 französische Truppen die Abtei besetzten, wurde das Kloster aufgehoben, die Kirche profaniert. Ende des 19. Jahrhunderts kaufte der Kanton Bern die Anlage und richtete ein Asyl für Geisteskranke ein. Das Wohnhaus an der Spitalackerstrasse 60 in Bern ist viel jünger: Architekt und Baumeister Antonio Perello baute es 1906 als Teil einer Zeile aus fünf Häusern. Wenige Jahre zuvor hatte die neue Kornhausbrücke das Breitenrain-Quartier zu einer attraktiven Wohngegend gemacht. Dem entsprechend wurde das Haus ausgestaltet: Sichtbackstein und Schmuckelemente aus Sandstein prägen die Fassade, die durch einen zylinderförmigen Balkonerker zusätzlich akzentuiert ist. Hohe Räume mit Stuckdecken und Parkettböden atmen den Geist der Belle-Époque. Über die Jahrzehnte wurden bei den Küchen und Sanitärräumen immer wieder Anpassungen gemacht, doch insgesamt blieb das Haus weitgehend im Originalzustand erhalten.
Das Bestehende geht vor
So grosszügig und lichtdurchflutet die Räume im Wohnhaus an der Spitalackerstrasse sind, so knapp bemessen ist die Erschliessung: Eine steile, enge Treppe windet sich um ein kleines Auge in die Höhe. Als eine umfassende Sanierung des Gebäudes anstand, war deshalb klar: Das Haus braucht einen Lift. Allerdings zieht nur zu oft der Einbau eines Lifts den Umbau des ganzen Treppenhauses nach sich, verbunden mit einem tiefen Eingriff in die Bausubstanz und den Grundriss. «Sachzwang» nennt man das – und es ist meistens der falsche Weg.
Gerade im Umgang mit historischer Bausubstanz haben wir eine besondere Verantwortung gegenüber der Leistung unserer Vorgänger. Zur Baukultur gehören auch das Nichtbauen, das Bewahren, das Weiterstricken des Vorhandenen. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Objekt jahrhundertealt ist oder ob es erst ein paar Jahre auf dem Buckel hat: Der Respekt vor dem Bestehenden sollte immer die Leitlinie sein. Wie das geht, zeigen die Architekten der Berner Ateliergemeinschaft Werkgruppe agw, die den Umbau des Hauses an der Spitalackerstrasse verantworteten. Sie fanden für den Lift einen Standort, von dem aus sich mit einem minimalen Eingriff in die bestehende Struktur alle Wohnungen erschliessen liessen.
Sorgfalt und technisches Können
Beim Nordturm der Abteikirche in Bellelay war die Aufgabe die gleiche: der Einbau eines Lifts. Seit Jahren war die Kirche ein Ort für kulturelle Veranstaltungen. Zum 300-Jahre-Jubiläum die Kirche sollten die verschiedenen Ebenen erschlossen und auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich gemacht werden. Das grosszügige Auge der historischen Holztreppe im Nordturm war dafür prädestiniert, und das Treppenauge hatte die nötigen Ausmasse für den Einbau eines Lifts. Dies ist eine bewährte Lösung mit minimalen Eingriffen in die Bausubstanz. Architekt Henri Mollet aus Biel entwickelte mit den Ingenieuren von Emch Aufzüge ein Traggerüst aus Stahlprofilen. Es steht frei im Treppenauge und ist punktuell mit schlanken Stäben mit dem Mauerwerk des Turms verbunden. Mit dieser Konstruktion ist der Lift so transparent, dass die räumliche Wirkung des Turmes spürbar bleibt. Und sollten sich dereinst neue Bedürfnisse einstellen, liesse sich der Lift jederzeit wieder entfernen, ohne grössere Schäden zu hinterlassen. Diese Reversibilität ist ein wichtiger Aspekt im Umgang mit Baudenkmälern.
Zurück nach Bern an die Spitalackerstrasse. Hier hatten die Architekten einen Ort gefunden, an dem sich der Lift weitgehend unsichtbar einbauen liess. Aber der Platz war äusserst knapp. Der Bau eines Betonschachtes kam aus Platzgründen nicht infrage. Also bedienten sich die Konstrukteure von Emch den gleichen Mitteln wie in Bellelay: einem filigranen Stahlgerüst. Damit der Lift keine Geräusche überträgt, steht er frei und berührt die Wände nur punktuell. Dank dem Stahlbau ist auch diese Konstruktion reversibel. Nun sind die beiden Bauten für die kommenden Jahrzehnte gerüstet. Wie die nächste Generation die Eingriffe beurteilen wird, wissen wir nicht. Allzu kritisch wird das Urteil kaum ausfallen, denn die heutige Generation hat ihre baukulturelle Verantwortung gegenüber der historischen Substanz wahrgenommen.