Konzeptionell richtig und schön gemacht

Das Casino in Bern wurde von Grund auf saniert und erhielt seine ursprüngliche Raumstruktur zurück. Dabei spielte der neue Lift eine entscheidende Rolle. Architekt und Denkmalpfleger erklären, warum.

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Seit 110 Jahren ist das Casino ein gesellschaftlicher und kultureller Brennpunkt der Bundesstadt. Als Ersatz für das alte Casino, das dem Parlamentsgebäude weichen musste, erstellten die Architekten Paul Lindt und Max Hofmann neben dem Brückenkopf der Kirchenfeldbrücke ein stolzes Gebäude im ‹Berner Stil› mit Sandsteinfassaden und mächtigen Ziegeldächern.

 Angesichts des knapp bemessenen Grundstücks ordneten sie die Haupträume – den grossen Konzertsaal und den Burgerratssaal – im ersten Obergeschoss an. Im Erdgeschoss platzierten sie die Vestibüle, die Garderoben und die grosszügigen Restaurants und Gesellschaftsräume. 1909 wurde das von der Burgergemeinde erstellte Haus eröffnet.
 
 
 
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Im Lauf der Jahrzehnte wurde das Gebäude mehrmals umgebaut, um es den veränderten Bedürfnissen und dem Geschmack der Zeit anzupassen. Insgesamt sind in hundert Jahren nicht weniger als 25 Baumassnahmen aktenkundig. Dabei haben dem Haus insbesondere die Umbauten des Erdgeschosses zugesetzt, denn die Restaurants waren den grössten Veränderungen unterworfen. Die ursprüngliche Raumstruktur war hier weitgehend zerstört oder nur noch in Ansätzen vorhanden. Folgenschwer war zudem die Einrichtung und der stetige Ausbau der Verwaltung in der ehemaligen Pächterwohnung im Ostteil.
 
 
 
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Erstmals in seiner Geschichte sanierte die Burgergemeinde zwischen 2017 und 2019 das für sie und die Stadt Bern so wichtige Gebäude. Basierend auf einer ‹Thesenkonkurrenz› erhielten Campanile + Michetti Architekten 2013 den Auftrag, den sie in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege bearbeiteten. Für die städtische Denkmalpflege unter Jean-Daniel Gross war die Sanierung des Casinos eines der grössten und komplexesten Projekte der letzten Jahre. Es zeigt exemplarisch, wie wichtig die enge Zusammenarbeit zwischen der Bauherrschaft, den Architekten, der Denkmalpflege und den Unternehmern ist. Um dem Casino seine ursprüngliche Raumstruktur zurückzugeben, war eine Rochade nötig. Dabei spielt ein neuer Lift eine zentrale Rolle.

Der Befreiungsschlag
«Die Idee der Architekten, die Verwaltung aus dem Ostbereich des Casinos unter das Dach im Westen zu verlegen, war der Befreiungsschlag», erinnert sich Denkmalpfleger Jean-Daniel Gross. So war es möglich, den als ‹Klötzligang› bekannten langen Korridor aufzuheben, der das Erdgeschoss entzweigeschnitten hatte. Dies machte den Weg frei, die ursprüngliche Raum- und Funktionsstruktur im Erdgeschoss des Casinos wiederherzustellen. «Die Idee dazu kam mir im Skyscraper Museum in New York», erinnert sich Architekt Claudio Campanile. Dort sah er einen Vergleich zwischen aufgereihten und gestapelten Büros. Hier geriet seine bisherige Gewissheit, dass die Casinoverwaltung im Osten angesiedelt ist, ins Wanken.
Obschon sich hinter den Sandsteinfassaden, dem mächtigen Dach und der grossen Stützmauer bis zu dreizehn Geschosse verbergen, würde niemand das Casino am Rand der Berner Altstadt als ‹Skyscraper› bezeichnen. Doch das Stapeln unterschiedlicher Nutzungen, die Architekt Campanile im Museum in New York studierte, war für das Casino in Bern essenziell: Der ‹Klötzligang› stellte sich quasi in die Senkrechte und wurde zu einem Lift, der – erstmals in der 110-jährigen Geschichte des Hauses – die Publikumsräume auf allen Geschossen miteinander verbindet.

 
 
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Der richtige Ort für den Lift
Gleichermassen elegant wie selbstverständlich steht die filigrane Liftkonstruktion aus Bronzeprofilen und Glas im Auge der Galerietreppe der westlichen Eingangshalle. Die wichtige Rolle, die er spielt, ist dem Lift anzusehen, aber er drängt sich nicht in den Vordergrund. Sieht so der ideale Lift in einem Baudenkmal aus? Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten. «Ein Lift ist wie ein Pfahl durchs Haus», hält Jean-Daniel Gross fest. Das heisst, dass man ihn nicht dort einbaut, wo sich wichtige Räume befinden. In der Altstadt bieten sich oft alte Abortanlagen für den Lifteinbau an: Sie sind vertikal übereinander und meist beim Treppenhaus angeordnet. So lässt sich ein Lift ‹wegretuschieren›. Eine andere, weit verbreitete Möglichkeit ist die Nutzung eines bestehenden vertikalen Raumes, etwa eines Treppenauges, wie es beim Casino schon bei früheren Umbauten genutzt wurde. Dabei bleibt die Bausubstanz, abgesehen von den technisch nötigen Eingriffen, unberührt. Es leidet jedoch der Raumeindruck: Der Lift ist ein sichtbares Element an einer architektonischen Schlüsselstelle.
 
 
 
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Diese spezielle Rolle des Liftes ist beim Casino gerechtfertigt. Die barrierefreie Zugänglichkeit muss heute selbstverständlich gewährleistet sein. Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Hauses, zum festlichen Konzert- und Kongressbetrieb gehört die repräsentative Erschliessung der Räume. In der Vertikalen waren dies früher ausschliesslich die ausladenden Treppen, heute gehört ein attraktiver Lift ebenso dazu. Für den Denkmalpfleger war noch ein weiterer Punkt entscheidend: Die Treppe im Westen, in deren Auge nun der Lift eingebaut und vom Untergeschoss bis in das Dach gezogen wurde, hat ein Pendant im Osten – ohne Lift. Dort lässt sich die ursprüngliche Wirkung nach wie vor erleben. Es gehe nicht nur darum, etwas «schön» zu machen, sondern es konzeptionell richtig zu machen, unterstreicht Jean-Daniel Gross.

Planer und Unternehmer Hand in Hand
Die konzeptionell richtige Lösung auch gut umzusetzen, ist nur möglich, wenn alle Beteiligten an einem Strick ziehen: der Architekt, der Denkmalpfleger und der Unternehmer. Beim Lift zeigt sich das exemplarisch, etwa bei der Materialisierung. In Anlehnung an das bronzefarben gestrichene Geländer planten die Architekten die Metallkonstruktion des Liftes aus Baubronze. Die Spezialisten von Emch nahmen diesen Ball auf und entwickelten selber einen Vorschlag – mit noch filigraneren Profilen, als es die Architekten vorgesehen hatten. Um diese Pläne in der verlangten Qualität auch umsetzen zu können, müssen die Arbeiten entsprechend ausgeschrieben werden. So reicht es nicht, einfach eine Ausschreibung für die Liftanlagen zu machen, sondern es braucht separate Ausschreibungen: eine für die Warenaufzüge, die jeder Hersteller liefern kann, und eine für den repräsentativen, von Emch massgeschneiderten Glaslift.
Die Bemühungen haben sich gelohnt, wie eine Liftfahrt vom Erdgeschoss bis unter das Dach beweist. In der edlen Kabine fährt man zunächst der repräsentativen Treppe entlang durch die festlichen Foyers des ersten und zweiten Obergeschosses, bevor man die Stuckdecke durchstösst und die Fahrt bis in den vierten Stock fortsetzt. Die Metall- und Glaskonstruktion des Liftes stösst fast bis an den hölzernen Dachstuhl des Treppenturms, und man erahnt, welche bautechnischen Herausforderungen sich hier stellten. Die Dachkonstruktion wurde abgenommen, damit ein Kran den Lift in drei Teilen millimetergenau in das Treppenauge einsetzen konnte.
 
 
 
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Im Gegensatz zur festlichen Atmosphäre in den unteren Geschossen prägt die rohe, in lichtem Beige gestrichene Zimmermannsarbeit die Verwaltungsräume unter dem mächtigen Dach des Westflügels. Durch zwei neue Fenster im Flachdachbereich fällt reichlich Licht in das grosse Volumen, in dem die Sitzungszimmer als gläserne Schatullen sitzen. Hier oben wird der Betrieb in den vielfältigen Räumen darunter organisiert – getreu dem Motto: Alles aus einer Hand, alles unter einem Dach.
 
Gesamtsanierung Casino, 2017–2019
Casinoplatz 1, Bern
Bauherrschaft: Burgergemeinde Bern
Architektur: Campanile + Michetti Architekten, Bern

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