Der Lift ist Teil der Wegführung

«Der Lift ist wie die Treppe ein Teil der Wegführung. Das Erlebnis beim Liftfahren ist wichtig: Wie kommst du in den Lift rein, was berührst du, was passiert, wenn du fährst?»

 

 

20 min. Lesezeit
Teilen


Damit der Lift seine zentrale Rolle einnehmen kann, ziehen Aebi & Vincent Architekten zu einem frühen Zeitpunkt die Fachleute von Emch bei. Bernhard Aebi und Daniel Steiger sprechen über ihre Lifterfahrung.

 

Wie bewegen Sie sich durch ein Gebäude? Auf der Treppe oder mit dem Lift?

Bernhard Aebi: In 99 Prozent aller Fälle nehme ich die Treppe. Das hat damit zu tun, dass ich zweimal in einem Lift stecken blieb. Das erste Mal passierte mir das in Freiburg, in der Bank von Botta. Da blieben wir etwa eine halbe Stunde stecken, das war wirklich sehr unangenehm. Das zweite Mal war es in Saas Fee, morgens um drei …

 

Die Wegführung ist ein essenzielles Thema in der Architektur. Welche Rolle spielt der Lift?
Bernhard Aebi: Der Lift ist wie die Treppe ein Teil der Wegführung. Das Erlebnis beim Liftfahren ist wichtig: Wie kommst du in den Lift rein, was berührst du, was passiert, wenn du fährst? In einem Glaslift beispielsweise hat man einen Ausblick. Bei einem geschlossenen Lift stellt sich die Frage, was in der Kabine passiert. Das können kleine Irritationen sein, die einen in der Zeit, in der man im Lift ist, begleiten und eine Emotion auslösen. Das kann die Form des Handlaufs sein oder ein Spiegel, der an einer unerwarteten Stelle sitzt.

 

Zu welchem Zeitpunkt entscheidet es sich, welche Rolle ein Lift in einem Projekt spielt?
Bernhard Aebi: Zuerst ist es wichtig, dass der Lift am richtigen Ort sitzt. Der Ort ergibt dann die Möglichkeiten, was man daraus machen kann. Wenn du unbedingt etwas Besonderes schaffen willst und den Platz im Haus dafür suchen musst, dann steht der Lift sowieso am falschen Ort. Im Südtrakt des Hauptbahnhofs in Zürich, den wir zurzeit sanieren, stehen die Lifte in der Erschliessungsschicht. Ihre Funktion ist das klassische Dienen. Hier erzeugen die Schachttür und das Portal, beide aus Holz gefertigt, Emotionen. Ursprünglich hatten wir sogar das gesamte Innere der Liftkabinen aus Holz vorgesehen – die Fahrt in der hölzernen Kabine wäre eine Überraschung wie im Film «Grand Hotel Budapest» geworden.

 

 

 

02-Liftmontage_Su__dtrakt-1_2

 

 

 

In welchem Entwurfsstadium nehmt ihr Kontakt mit dem Spezialisten auf?
Bernhard Aebi: Grundsätzlich nimmt man relativ früh Kontakt auf, meist im Stadium des Vorprojekts. Es ist wichtig, dass das Technische an einem Lift von Anfang an sitzt: Wie gross ist der Schacht? Wie ist der Antrieb? Da gibt es viele Möglichkeiten. Aber oft gibt es Situationen, die schwierig zu lösen sind. Beim Umbau der Eidgenössischen Zollverwaltung in Bern sind die Lift-Standorte aus historischen Gründen gegeben. Da müssen wir schauen, wie wir einen Lift einbauen können, und welchen Einfluss das auf den Rest hat.

 

Daniel Steiger, wie sind die Architekten jeweils vorbereitet?
Daniel Steiger: Das ist sehr unterschiedlich und hängt damit zusammen, wie erfahren ein Architekt ist, insbesondere beim Bauen im Bestand. Ob Neubau oder Umbau, ist ein grosser Unterschied. Bei einem Neubau wird der Lift oft als Teil der Haustechnik gedacht. Man nimmt den Standardkatalog und plant den Lift irgendwo ein. Beim Bauen im Bestand schränkt einen die Situation schnell ein. Da merke ich bald, ob sich ein Architekt das erste Mal über die Machbarkeit Gedanken macht oder ob er Erfahrung mitbringt. Wenn das Konzept vor der Technik steht, wenn der Architekt sagt: «Aus konzeptionellen Gründen muss der Lift genau hier stehen», entstehen die spannenden Geschichten. Ich kenne kaum ein Projekt von Aebi & Vincent Architekten, wo das nicht von Anfang an so gewesen ist. Beim Theater Langenthal beispielsweise, wo wir für Aebi & Vincent den Lift planen durften, merkten wir von Anfang an, dass die Ansprüche der Architekten sehr hoch sind. Viele würden sich gar nicht getrauen, solche Wünsche zu formulieren, wenn sie nicht schon entsprechende Erfahrung in der Zusammenarbeit gemacht haben.

 

Sind am Anfang die Themen eher technisch oder gestalterisch?
Bernhard Aebi: Ein wichtiges Thema ist sicher die Machbarkeit der gestalterischen Idee. In Langenthal wollten wir eigentlich sowohl die Kabine als auch den Schacht aus Streckmetall konstruiert haben – ohne Glas. Wir dachten, es wäre schön, auf der Liftfahrt den Luftzug zu spüren. Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt und auch eine Lösung gefunden – und dann änderte die Norm, und wir mussten die Streckmetall-Idee aufgeben und auf Glas wechseln und einen anderen Effekt suchen, den wir mit einer wassermatten, im Glas liegenden Folie, einer beschlagenen Scheibe entsprechend, auch gefunden haben.

Ich stelle mir vor, dass die Normen gerade bei einer technischen Anlage wie einem Lift die Gestaltungsfreiheit stark einschränken.
Bernhard Aebi: Natürlich gibt es die Normen, und die musst du auch einhalten; auf dem Bau ist ja alles normiert. Aber wenn man nur nach Normen baut, dann sieht jedes Haus gleich aus. Das Spannende ist doch, eine Norm zu erfüllen und gleichzeitig noch etwas daraus zu machen. Wenn du einen Partner hast, der daran auch Freude hat und das kann, dann gibt es viele Möglichkeiten für einen kleinen Seiltanz.

 

 

 

03-Liftmontage_Su__dtrakt-3_4

 

 

 

Seid ihr Seiltänzer?
Daniel Steiger: Offenbar. (schmunzelt) Es ist ja nicht so, dass wir eine Zauberkiste haben. Aber wir haben die Möglichkeit, eine Auslegeordnung zu machen und das Ganze technisch so zusammenzusetzen, dass etwas Einzigartiges entsteht. Zudem haben wir als KMU eine gewisse Narrenfreiheit, die die Konzerne kaum mehr haben. Wir haben keine Compliance-Abteilung, die uns auf die Füsse tritt, wenn wir irgendwo eine Gratwanderung machen.Bernhard Aebi: Als ich das erste Mal mit Emch einen Lift plante, war ich überrascht, wie beweglich die sind! Die grossen Industriekonzerne haben wenig Interesse an etwas Speziellem, sie sind auf das Massengeschäft ausgerichtet. Emch hat eine andere Philosophie. Das ist bei den guten Architekten ja auch so.

 

Braucht es auch bei den Bauherrschaften ein besonderes Bewusstsein für einen speziellen Lift?
Bernhard Aebi: Architektur hat mit Kommunikation und Emotionen zu tun. Bei einer Entwicklung des Projekts nimmt man als Architekt die Bauherrschaft mit auf den Weg. In Langenthal war sie dann enttäuscht, als sich die Idee mit dem Streckmetall nicht realisieren liess. Sie hätten das auch toll gefunden. Wenn der Lift aussergewöhnlich ist, sieht die Bauherrschaft den Mehrwert – wenn es Sinn macht. Nur einen speziellen Lift zu machen, damit er speziell ist, findet niemand gut. Aber wenn der Lift Teil der Emotionen im Haus ist, dann ist er selbstverständlich.

 

 

 

04-Liftmontage_Su__dtrakt-5_6

 

 

 

Wie kann man garantieren, dass die geplante Qualität gewährleistet ist, wenn ein Lift öffentlich ausgeschrieben wird?
Bernhard Aebi: Wir schreiben sehr präzise aus, sodass wir am Ende auch das erhalten, was wir wollen. Zwischen Vergabe und Ausführung findet jedoch immer noch eine gewisse Entwicklung statt, und die ist mit Emch wohl intensiver und kreativer als mit einer anderen Firma. Aber natürlich ist es einfacher, etwas zusammen zu entwickeln und dann als Direktauftrag zu vergeben. Aber das ist heute bei den grossen, oft öffentlichen Projekten schwierig.
Daniel Steiger: Die Anlage in Langenthal haben wir tatsächlich nicht bauen können. Es besteht immer die Gefahr, dass uns Projekte, die wir zusammen mit den Architekten entwickeln, weggeschnappt werden. Denn meistens müssen sie öffentlich ausgeschrieben werden – und wie will man etwas ausschreiben, ohne es genau zu definieren? Insbesondere, wenn man schon genau weiss, was man will. Dann muss man es ja präzise beschreiben. Also kann jeder ein Plagiat bauen.

 

Kommt es oft vor, dass der Liftplaner sagt: «Geht nicht»?
Bernhard Aebi: Bei Emch heisst es nicht: «Geht nicht», sondern: «Man muss es anders probieren.» Es kommt ein Gegenvorschlag – das typische Pingpong. Wenn man sich gemeinsam auf Glatteis bewegt hat, entsteht plötzlich eine Idee, die man als Architekt nicht gehabt hat. Wenn mir jemand sagt, etwas gehe nicht, dann reizt es mich immer extrem, dort weiterzupickeln. Dann wird es spannend, wie beispielsweise beim Streckmetall in Langenthal. Sehr schade, dass wir das nicht realisieren konnten.
Daniel Steiger: Es wäre wirklich bestechend, eines Tages einen Lift zu bauen, in dessen Kabine man den Luftzug spüren kann. Dafür braucht man aber eine dreifache Sicherheit, und die Sensoren dazu hat es bisher nicht gegeben. Jetzt sind die 3-D-Überwachungen so perfekt und zertifiziert, dass man eigentlich eine offene Kabine, eine Plattform, als Lift betreiben könnte. Im Louvre in Paris gibt es das ja, man fährt auf und ab und hat keine Kabine um sich herum. Solche Normenwechsel, die meist durch die Konzerne angetrieben sind, sind für uns immer spannend. Es braucht dann jeweils eine gewisse Zeit, bis wir die Nische finden. Zurzeit arbeiten wir beispielsweise an mehreren Projekten, bei denen wir schachtlos aufs Dach fahren. Unten ist der Lift ein normaler Lift, zuoberst stösst er durch das Dach. Die Überwachung, die es dafür braucht, ist nur mit den neuen technischen Systemen möglich. Nach solchen Lösungen zu suchen ist spannend, und es ist befriedigend, nach zwei oder drei Jahren sagen zu können: «Jetzt haben wir es.»

 

 

 

05-1412_Schemagrundriss_Lift_HBZ

 

 

 

Welchen Traum hat der Architekt bezüglich des perfekten Lifts?
Bernhard Aebi: Vor einigen Jahren hätte ich gesagt: «Ein Hochhaus in New York.» Heute bin ich nicht sicher, ob andere Sachen nicht interessanter wären. Ich fände es spannend, einen Lift als Box zu bauen, die dich von A nach B befördert, nicht nur in der Vertikalen. MVRDV legten mal ein Bibliotheksprojekt vor mit Liften, die mittels Magneten in alle Richtungen fahren können.
Daniel Steiger: Wenn sich das Thyssen-Prinzip mit dem Linearantrieb, das mehrere Kabinen im gleichen Schacht ermöglicht, technisch durchsetzt, wird das die Architektur komplett umkrempeln. Dann gibt es das «Kernproblem» nicht mehr, dass man bei zunehmender Höhe mehr Fläche für die Lifte reservieren muss. Und es gibt auch keine Gänge mehr, weil du mit deinem Kabäuschen irgendwo hinfahren kannst und vor deiner Haustür landest. Du begegnest gar niemandem mehr.
Bernhard Aebi: Die technische Entwicklung finde ich spannend. Aber die Frage ist, was du damit machst. Ich finde den Lift als sozialen Ort wichtig. Darum darf er meines Erachtens mehr als nur Lift sein. Wer in einem Haus mit Lift wohnt, lernt den Nachbarn anders kennen. Es entstehen drin soziale Kontakte in einem extrem intimen Rahmen.
Daniel Steiger: Eine Art Zwangssozialisierung. Darum ist es manchmal auch so beklemmend.
Bernhard Aebi: Darum nehme ich immer die Treppe!

"Themenfokus" herunterladen