Bärn produziert

«Das duale Bildungssystem ist eine enorm wichtige Errungenschaft – das muss noch viel besser vermittelt werden.»

 

Wie steht ein Geschäftsführer eines Schweizer Grossunternehmens zur aktuellen Wirtschaftslage? Im Interview spricht Bernhard Emch, Geschäftsleiter der EMCH Aufzüge AG, über Herausforderungen und Tendenzen auf lokaler und internationaler Ebene.

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Bernhard Emch Burgerbiblio

Bernhard Emch, Geschäftsleiter der EMCH Aufzüge AG, ist überzeugt,

dass der Erfolg der Schweizer Wirtschaft zu einem wesentlichen Teil auf dem dualen Bildungssystem basiert. Entsprechend investiert sein 

Unternehmen in die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden. Von der Stadt Bern wünscht er sich, dass diese auch gegenüber der

Bevölkerung deutlich macht, wie wichtig die Wirtschaft für eine erfolgreiche Stadt ist.

 

 

 

 

Welche wesentlichen Herausforderungen sehen Sie auf Ihr Unternehmen zukommen?

Bernhard Emch: Ich sehe drei Themen, die uns heute bereits stark fordern und uns in den nächsten Jahren sicherlich weiterhin beschäftigen werden. Da ist erstens das Fachkräfte-Thema. Es muss uns weiterhin gelingen, motivierte und gut ausgebildete Mitarbeitende zu finden – im Handwerksbereich genauso wie bei den Ingenieurinnen und Ingenieuren. Zweitens beschäftigt uns die Kostenthematik. Wir sind in einem Markt tätig, der von internationalen Konzernen dominiert wird, die zum grössten Teil in Billiglohnländern produzieren. Da wir bewusst auf ein in der Schweiz hergestelltes Qualitätsprodukt setzen, sind wir unter anderem auf schlanke administrative Abläufe angewiesen, um konkurrenzfähig zu sein. Und drittens ist momentan unsicher, wohin die Reise bezüglich unseres Verhältnisses mit der EU geht. Der Auslandsmarkt wird für uns immer wichtiger. Das Scheitern des Rahmenabkommens hinterlässt bei uns Ratlosigkeit. Insbesondere, weil man nicht weiss, wie es nun weitergeht. Wir sind unter anderem auch deshalb daran, in Frankreich eine Geschäftsstelle aufzubauen, damit wir diese Unsicherheiten etwas umgehen können.

 

Weshalb ist der ausländische Markt für Sie interessant?

Nischenplayer wie EMCH gibt es im Ausland praktisch keine mehr. Und mit unserer Schweizer Produktion können wir ein qualitativ hochstehendes und massgeschneidertes Produkt anbieten, für welches im Ausland eindeutig ein Markt und eine zunehmende Nachfrage besteht.

 

Weshalb forcieren Sie speziell die Präsenz in Frankreich?

Den französischen Markt kennen wir sehr gut, weil ich selbst drei Jahre in Frankreich gelebt habe und wir dort bereits seit über zehn Jahren aktiv sind. Wir haben mittlerweile zahlreiche Installationen im Grossraum Paris – so viele, dass sich nun der Aufbau einer eigenen Servicestelle anbietet, damit wir das Wartungsgeschäft selbst übernehmen können. Gleichzeitig antizipieren wir mit diesem Schritt die erwähnten Unsicherheiten bezüglich des Rahmenabkommens mit der EU.

 

 

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Wie beurteilen Sie das Schweizer Bildungssystem – müssten hier Veränderungen vorgenommen werden, damit es mehr Fachkräfte gibt?

Ich bin der Meinung, dass der Stellenwert der Berufslehre nach wie vor zu gering ist. Wenn ich die Zeitung aufschlage und einen Artikel über Bildung und Ausbildung lese, geht es mehrheitlich um Hochschulen, Forschungsprojekte und universitäre Institutionen. Das ist enorm wichtig, keine Frage. Aber ich vermisse die gleiche Aufmerksamkeit bei der Berufslehre. Das duale Bildungssystem ist eine enorm wichtige Errungenschaft der Schweiz, das muss noch besser vermittelt werden. Ich denke dabei nicht zuletzt an die Secondos in unserem Land, deren Eltern den Wunsch ausdrücken, dass es ihren Kindern besser ergehen soll als ihnen. Meistens meinen sie damit die Möglichkeit, das Gymnasium zu besuchen und zu studieren. Dass eine Berufslehre eine ebenso starke Basis in der Ausbildung junger Menschen ist und man später eine Berufsmatur machen kann, muss der Bevölkerung und auch an den Schulen noch besser vermittelt werden. Auch wir als Unternehmen sind diesbezüglich gefordert.

 

Was unternehmen Sie, um genügend Fachkräfte in Ihrem Betrieb zu haben?

Es fängt damit an, dass wir mit den Schulen in der näheren Umgebung zusammenarbeiten und dort Schnuppermöglichkeiten anbieten. Weiter engagieren wir uns der Berner Ausbildungsmesse BAM. Aber entscheidend ist, dass wir die guten Nachwuchskräfte selbst ausbilden. Wir investieren beträchtliche Mittel in die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeitenden. Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir unter anderem die EMCH-Akademie gegründet, um ein Expertenkarrieremodell aufzubauen und konsequent umzusetzen, Trainingseinheiten zu erarbeiten, fachbezogene Weiterbildungen durchzuführen, bedarfsbezogene Personalentwicklungsinstrumente zu implementieren oder die Schnittstelle zum Verein Ausbildungszentrum für Aufzugsberufe Schweiz zu stärken. Auch wenn dieses Engagement kostenintensiv ist – es wird sich lohnen, weil es eine nachhaltige Investition in die eigenen Mitarbeitenden ist.

 

 

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Inwiefern wird die Digitalisierung Ihr Unternehmen in Zukunft verändern?

Was die Unternehmung betrifft, ist vieles, was möglich ist, bereits digitalisiert – so etwa der gesamte administrative Alltag. Das ist ein normal laufender Prozess. Die Corona-Pandemie hat sich hier insofern ausgewirkt, als dass wir gewisse Projekte innerhalb von zwei, drei Monaten umgesetzt haben, die in unserer IT-Strategie für die nächsten anderthalb Jahre geplant gewesen wären. Hinsichtlich dem Produkt Aufzug wird die Digitalisierung in Zukunft sicher Veränderungen bringen. Zum Beispiel im Bereich Service und Wartung von Aufzugsanlagen werden mit internetbasierten Machine-to-Machine (M2M) Lösungen neue Wartungsprozesse möglich unter anderem dank frühzeitigem Erkennen von Problemen an der Anlage. Und nicht in jedem Fall braucht es in Zukunft eine Intervention vor Ort, um Störungen zu beheben. Aber völlig auf den Kopf stellen wird die Digitalisierung unsere Servicearbeiten nicht. Schon nur aufgrund von Sicherheitsaspekten ist die physische Kontrolle der Aufzugsanlage nach wie vor notwendig.

 

Wenn Sie die regionalen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen betrachten: Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Da gibt es viele Themen. Ich habe zehn Jahre lang die Sektion Bern des Handels- und Industrievereins (HIV) geleitet. Trotzdem ist mir zum Beispiel die Rollenverteilung zwischen Regionalkonferenz Bern-Mittelland, Wirtschaftsraum Bern, Wirtschaftsförderung der Stadt sowie des Kantons Bern nach wie vor nicht klar. Es ist zwar gut, dass so viele Institutionen der Wirtschaft zudienen, aber wahrscheinlich wäre es effizienter und nützlicher, wenn man diese Bemühungen vereinfachen und vereinheitlichen würde.

 

Wie gut unterstützt fühlen Sie sich auf städtischer Ebene?

Es gibt zwei Aspekte. Aus persönlicher Erfahrung kann ich bestätigen, dass sich die zuständigen Personen bei der Stadt Bern für das produzierende Gewerbe wirklich stark machen. Ich habe das zuletzt bei der Arealentwicklung Zentrum Bethlehem gesehen, die auf der Grundlage des Masterplans Chantier Bethlehem West gestartet wird. Das Areal hat grosses Potenzial für eine gemischte Nutzung mit Wohnen, Einkaufen und Arbeiten und eben auch für das produzierende Gewerbe. In diesem Projekt wurden alle Beteiligten frühzeitig in die Diskussion miteinbezogen und die Stadt Bern hat sich vorbildlich engagiert. Heute stehen die Quartiervereine und auch die Bevölkerung in diesem Stadtteil hinter dem Projekt und haben damit auch ein Commitment für das Gewerbe abgegeben. Das ist ein starkes Zeichen.

 

Und der zweite Aspekt?

Es sind die Wirtschaft als Ganzes und die Gewerbetreibenden im Speziellen, die sich auf städtischer Ebene grundsätzlich zu wenig gehört und zu wenig unterstützt fühlen. Oft höre ich von Kolleginnen und Kollegen, dass sie sich als reine Steuerzahlende fühlen, die Stadt oder die Verwaltung aber umgekehrt nicht im gleichen Mass für sie da sei. Diese Klage kann ich zu einem gewissen Grad nachvollziehen – dass der Gemeinderat sich auch in der jüngsten Legislaturplanung 2021-2024 kaum über die Wirtschaft, die KMU, das Gewerbe geäussert hat, untermauert leider diese Haltung. Wir wollen gehört und gesehen werden – nur so entsteht ein gegenseitiges Verständnis für die Anliegen von Wirtschaft, Behörden und Politik. Die Stadt Bern müsste also dem Gewerbe nicht nur in spezifischen Projekten den Rücken stärken, sondern auch gegenüber der Bevölkerung deutlicher machen, wie wichtig wir für die Stadt sind.

 

Muss die Wirtschaft selbst aktiver werden?

Teilweise, ja. Mir bereitet die zunehmende Spaltung innerhalb der Wirtschaft Sorge. Immer öfters verhindern festgefahrene Ideologien oder Scheuklappen bei gewissen Themen wie Verkehr oder Umweltpolitik, dass die Wirtschaft zusammensteht und geeint auftritt. Das müssen wir ändern, denn sonst können wir auf unsere wichtigsten Anliegen zu wenig aufmerksam machen.

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