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«Ein Lift ist eben kein Handy»

Geschrieben von Marcel Bächtiger | 15.07.2024 14:36:35

Der Lift kann einen wichtigen Beitrag zur zirkulären Wende in der Baubranche leisten siehe ‹Was der Aufzug zum Kreislauf beiträgt›, Seite 4. Doch wie geht das konkret? Wo liegen die Herausforderungen, wo die Chancen? Welche Rolle spielen Kosten und Garantien? Und was muss sich ändern? Darüber diskutieren wir in Emchs ‹Exotenlager›, zwischen alten Motoren, Steuerungen und Seilwinden.


Mit dem Kopfbau K 118 in Winterthur hat das Baubüro In Situ einen viel beachteten Bau aus wiederverwendeten Bauteilen errichtet. Der Lift aber ist neu. Warum?
Marc Angst: Wir hatten einen relativ neuen Lift eines großen Herstellers an der Angel, und zwar aus einem Hotel in Zürich, das komplettsaniert werden sollte. Wir trafen uns vor Ort mit Technikern und dem Experten der Fachstelle Aufzugskontrolle der Stadt Winterthur, um abzuklären, ob das Ausbauen und Wiederverwenden sicherheitstechnisch funktionieren würde. Klar, sagten die Techniker, das sei kein Problem. Doch die Liftfirma stellte sich letztlich quer. Das machen wir nicht, hieß es, wir verkaufen nur neue Lifte. Der Lift wurde herausgerissen und entsorgt. Danach war die Zeit zu knapp, um weiterzusuchen.
Bernhard Emch: Eine verpasste Chance!


Wäre Emch bei einer solchen Anfrage bereit und fähig gewesen, den Lift auszubauen und weiterzuverwenden?
Bernhard Emch: Absolut. Wir haben schon zu Zeiten meines Vaters Lifte auf- und wieder abgebaut, zerlegt und woanders wiederverwendet, zum Beispiel im Rahmen der Berner Messe BEA. Heute müssen wir häufig Liftanlagen demontieren, die noch gut brauchbar wären – eigene und fremde. Einfach weil das Gebäude abgerissen wird. Wenn man mich in einer solchen Situation fragen würde, ob wir den Lift an einem anderen Ort wieder einbauen würden: Ich würde keine Sekunde zögern! Wieder- und Weiterverwendung liegt in unseren Genen. Schon seit der Firmengründung ist das unsere Strategie und unsere Nische: Nicht in die Masse gehen, sondern in die Qualität investieren. Lifte nicht herausreißen, sondern in Teilen ersetzen und modernisieren. Allerdings liegt die Entscheidung dazu nicht in unserer Hand. Ich erinnere mich an einen unserer ersten Glaslifte: ein wunderschöner runder Lift für eine Boutique an der Zürcher Bahnhofstrasse. Bereits nach 15 Jahren wurde das Geschäft erneuert und der Lift entsorgt. Da bricht mir das Herz.


Einen solchen Lift einzulagern, ist keine Option?

Bernhard Emch: Ein Lift ist eben kein Handy. Eine längerfristige Lagerung braucht sehr viel Platz und ist entsprechend teuer. Wenn nicht klar ist, ob man den Lift in absehbarer Zeit anderswo einbauen kann, ist das für uns finanziell nicht tragbar. Aber wir haben Ideen, wie wir die Wiederverwendung in Zukunft ausbauen können.
Marc Angst: Ein Problem, das ich kenne. Genau aus diesem Grund führen wir kein ständiges Lager, sondern arbeiten projektspezifisch: Wenn eine Bauherrschaft mit wiederverwendeten Bauteilen bauen möchte, dann akquirieren wir diese und lagern sie temporär ein – am besten auf der Baustelle oder bei der Bauherrschaft. Für die Bauherrschaft bedeutet das allerdings ein frühes Risiko-Investment. Weil man kein Re-Use-Projekt zeichnen kann, ohne zu wissen, mit welchen Dingen und Maßen man arbeitet, müssen die wichtigen Bauteile bei Planungsbeginn bereits gekauft und an Lager sein. Die Kosten bis zur Baueingabe sind deshalb etwa doppelt so hoch wie bei einem konventionellen Neubauprojekt.


Nun lagert Emch zwar keine ganzen Liftanlagen ein, die Größe des Ersatzteillagers ist aber dennoch beeindruckend.
Bernhard Emch: Das ist die logische Folge unserer Firmenphilosophie. Wenn man Lifte instand halten will, die 50 Jahre oder älter sind, braucht man ein entsprechend großes Lager. Allein in unserem Kardex-Regal lagern 30 000 Teile. Stifte, Relais, Widerstände. Dazu kommen die großen Teile: Motoren, Spulen, Treibscheiben. Alles muss irgendwo Platz finden.
Marc Angst: Wisst ihr, was wo liegt? Habt ihr das im Griff?

Bernhard Emch: Das müssen wir im Griff haben!
Marc Angst: Das Informationsmanagement ist ein Schlüssel für die Wiederverwendung: Wie behält man den Überblick? Und vor allem auch: Wie viel altes Wissen über das einzelne Bauteil kann man noch abrufen, und wo? Was muss ich für die Weiterplanung neu erfassen, und wie?
Bernhard Emch: Viel Wissen steckt in den Köpfen unserer Mitarbeitenden. Das wird bereits im Pikettservice deutlich. Ein langjähriger Servicemitarbeiter weiß gut über alte Relais-Steuerungen Bescheid, muss aber auch die moderne Elektronik kennen. Eine junge Servicetechnikerin wiederum kennt sich digital hervorragend aus und beherrscht die Fehlererkennung mit dem Laptop. Aber auch sie muss eine 50-jährige Steuerung verstehen. Das ist eine enorme Herausforderung.


Auch für ein erfolgreiches Re-Use-Projekt braucht es neben den Bauteilen die entsprechende Expertise.

Marc Angst: Richtig. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viele Erfahrungen gesammelt. Trotzdem brauchen wir, wenn wir Bauteile inventarisieren und bewerten, oft die spezifische Hilfe von Experten. Wir brauchen Partner, die uns sagen, was ein Bauteil kann und was nicht. Wir brauchen Ingenieure, Montagefirmen, Fassadenbauer oder die ursprünglichen Herstellerfirmen. Im Idealfall können wir dieser Firma gleich den Auftrag geben, die Bauteile aus- und wieder einzubauen und die entsprechenden Ersatzteile zu liefern. Aber dazu sind längst nicht alle Hersteller bereit. Oft heißt es: Ich verkaufe dir gerne ein Fenster, aber nur ein neues.
Bernhard Emch: Das ist ein extrem wichtiger Aspekt. Wir haben von Anfang an viel Wert darauf gelegt, langlebige Lifte zu erstellen und diese auch modernisieren zu können. Die Bestandteile eines Lifts haben sehr unterschiedliche Lebensdauern. Während man die Elektronik nach 12 bis 15 Jahren ersetzen muss, hält eine gut gefertigte Führungsschiene aus Stahl im Prinzip für die Ewigkeit. Aber die Qualität muss natürlich stimmen. Wenn man die Dimensionierung der Stahlteile so weit herunterfährt, dass diese nach 15 Jahren ebenfalls abgenutzt sind, ergibt es tatsächlich keinen Sinn mehr, den Lift zu modernisieren.

 

Finanzielle Überlegungen spielen sicher auch aufseiten der Bauherrschaft eine Rolle.
Bernhard Emch: Wenn wir einem Kunden die Modernisierung einer alten Liftanlage anbieten, er aber gleichzeitig eine günstigere Offerte für einen Totalersatz erhält, ist das für ihn erst mal schwierig zu verstehen. Ein sorgfältig modernisierter Lift hat aber eine längere Lebensdauer als ein neuer Standardlift, der unter Umständen bereits nach 15 Jahren ersetzt werden muss. Zudem wird häufig nur der Lift selbst budgetiert. Die Bauherrschaft übersieht, dass beim Einbau einer neuen Anlage Türrahmen herausgespitzt werden müssen und viele bauseitige Anpassungen anfallen, die in der Offerte nicht enthalten sind. Wenn man nun noch die Umweltkosten miteinberechnet, wenn man bedenkt, was an grauer Energie verschleudert wird, wenn ein ganzer Lift weggeworfen wird – dann sollte man einsehen, dass eine Modernisierung sinnvoller ist. Aber wie gesagt: Auf den ersten Blick erscheint der Ersatz eines Rädchens sehr teuer im Verhältnis zu den Kosten einer neuen Liftanlage.

Marc Angst: Der Kostenfaktor ist für die Kundschaft verständlicherweise relevant. Auch wir sind immer wieder mit der Hoffnung konfrontiert, dass ein Re-Use-Projekt günstiger ausfällt als ein Neubau. Schließlich sind die Bauteile ja Secondhand! Diese Hoffnung müssen wir jeweils zerschlagen. Wir sind schon glücklich, wenn wir es zum gleichen Preis schaffen.
Bernhard Emch: Dass in Sachen Ökologie und Nachhaltigkeit vieles machbar, aber nichts gratis ist, ist in den Köpfen der Menschen noch nicht angekommen.
Marc Angst: Und dass uns der Klimaschutz auf andere Weise noch viel teurer zu stehen kommt! Unterdessen können wir das recht gut vermitteln – zumindest unseren Bauherrschaften, die bereits für das Thema sensibilisiert sind und den Mehrwert darin erkennen.


Die Kosten sind das eine, Sicherheit und Zertifizierung das andere. Welche Strategien im Umgang damit bieten sich an?
Marc Angst: Dass es auf Secondhand-Bauteile keine Garantie gibt, ist regelmäßig ein Thema. Wir sind an einem Forschungsprojekt von Wirtschaftsjuristen der ZHAW beteiligt, das die rechtlichen Aspekte von Re-Use behandelt. Das Gesetz sieht schlicht nicht vor, dass ein Bauteil wiederverwendet wird. Der Graubereich ist groß. Wer trägt welches Risiko? Wir haben nun eine vertragliche Kaskade entwickelt, bei der durch bezahlte Zusatzprüfungen die Sorgfaltspflicht aller Beteiligten gewährleistet wird. So stellen wir sicher, dass nur einwandfreie Bauteile zum Einsatz kommen. Zudem: Die Garantie erlischt nach 2 bis 5 Jahren. Gut ausgewählte Bauteile haben bereits einige Jahre auf dem Buckel. Wenn sie dann für gut befunden werden, wozu braucht es noch eine Garantie? Wohlverstanden: Auf Montage und auf neue Arbeiten am Bauteil verlangen wir natürlich die üblichen Gewährleistungen. Aber bei einem Lift stellen sich bestimmt nochmals andere Anforderungen.
Bernhard Emch: Die Frage der Zertifizierung ist für uns definitiv ein Thema. Ein modernisierter Lift kann nicht allen Richtlinien entsprechen, die für eine neue Anlage gelten. Wenn unsere Kundschaft einen Nachweis verlangt, stellen wir eine Konformitätsbescheinigung aus, in der wir die Verantwortung übernehmen und bestätigen, dass alles, was wir erneuert haben, mit den neuesten Sicherheitsanforderungen kompatibel ist.
Marc Angst: Mit solchen Ersatzmaßnahmen setzen wir uns täglich auseinander. Viele Bauteile, die wir verwenden, entsprechen nicht unbedingt den aktuell geltenden Normen. Sehr oft finden sich aber einfache, kreative Ersatzmaßnahmen. Das beginnt schon im Entwurf. Auch das Gespräch mit der Baupolizei hilft. Die Behörden sind zu Verhältnismäßigkeit verpflichtet. Ist das Normenziel auch alternativ zu erreichen oder im konkreten Fall nicht prioritär, liegen Ausnahmen drin.
Bernhard Emch: Die Norm beschreibt ja nur einen Weg, wie die Sicherheitsvorgaben erfüllt werden können. Wenn nachgewiesen werden kann, dass die Sicherheitsvorgabe erfüllt ist, darf man von der Norm abweichen. Trotzdem: Das Produktehaftpflichtgesetz bleibt relevant. Am Ende geht es um den Schadensfall. Und da gibt es im Bereich Re-Use viele Fragen, die rechtlich nicht geklärt sind und die dringend angegangen werden müssten.

 

Wie weit ist die Liftbranche als Ganzes im Umdenken Richtung zirkuläres Bauen?
Bernhard Emch: Es passiert viel, europaweit. Überall spürt man die Tendenz, die Modernisierung als wertvollen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft anzuerkennen. Die Hersteller von Standardaufzügen tun sich dabei aber sicher schwerer als kleine, flexible KMU.
Marc Angst: Modernisierung statt Ersatz muss oberste Priorität haben! Das geht nicht ohne entsprechende Vorschriften, zum Beispiel über eine vorgezogene Entsorgungsgebühr oder über die Pflicht zur Ersatzteilhaltung und zum Reparaturservice.
Bernhard Emch: Das Thema betrifft nicht nur die Herstellerfirmen, sondern auch die Hauseigentümer. Sie müssen vermehrt Produkte fordern, die reparierbar und modernisierbar sind. Es braucht ein Umdenken auf vielen Ebenen.

Marc Angst: Erhalt ist zweifellos am wichtigsten. Wir werden aber auch in Zukunft mit Rückbauten und Provisorien konfrontiert sein. Und in diesen Fällen ist es zentral, dass die Bauteile im Kreislauf bleiben.
Bernhard Emch: Wenn wir also das nächste Mal einen Lift demontieren müssen, kann ich mich an dich wenden? Marc Angst: Unbedingt. Re-Use funktioniert momentan am besten über Netzwerke. Die Rückbaulogistik ist noch nicht weit entwickelt. Wir müssen wissen, wen wir für welches Bauteil anrufen können.
Bernhard Emch: Und wir bieten gerne unsere Expertise und Mitarbeit an, wenn ihr bei einem Re-Use-Projekt einen Lift aus wiederverwendeten Bauteilen einbauen wollt.

 

Findet über niederschwellige Netzwerke wie dieses eine Professionalisierung von Wieder- und Weiterverwendung statt?
Marc Angst: Ja. Und die Nachfrage wächst stark. 

 

Marc Angst links und Bernhard Emch Mitte im Gespräch mit Hochparterre­Redaktor Marcel Bächtiger rechts. Foto: Lukáš Kálna